Samstag, 15. November 2014

Anna Christina Schulte, die Weihnachtszwillinge und die verdammte Ruhr

Anna Christina stelle ich mir immer als Matriarchin vor, die den Schulte-Clan lenkte. Ich weiß nicht, warum, aber es mag daran liegen, dass sie die Anerbin des Hofes Künsebeck 2 im Kirchspiel Halle war. Und weil sie die Anerbin war, musste sie auch trotz ihrer zwei Ehemänner, die sie immerhin beide überlebte, niemals ihren Nachnamen ändern. Genauso, wie es schon bei ihrer Mutter war. Der Hof wurde zweimal über die mütterliche Linie vererbt.
Schon als Anna Christina geboren wurde, waren die Zeiten nicht sonderlich einfach: Es war Krieg - der Siebenjährige Krieg, um genau zu sein. Auch viele junge Männer hier aus dem Altkreis Halle nahmen dran teil, und mit ziemlicher Sicherheit auch welche aus ihrer Verwandtschaft. Das bedeutete auch, dass die Frauen auf den Bauernhöfen noch mehr zupacken mussten als so schon.
Anna Christina hatte immerhin zwölf Kinder von ihren beiden Gatten, fünf Söhne und sieben Töchter. Auch da scheint sich die weibliche Überzahl weiter fortzusetzen.
Ihren ersten Mann verlor Anna Christina, als sie gerade einmal 26 war: Die Ruhr ging um, und Johann Hermann war eines ihrer Opfer, und zwar an Silvester 1783. Anna Christina fand sich plötzlich mit drei Kindern alleine auf der Welt, das kleinste gerade einmal fünf Monate alt. Es war aber nicht so, dass dann einer ihrer Brüder den Hof übernahm - nein, nach nur neun Monaten holte sie einen neuen Mann auf den Hof: Henrich Jacob Vorbecker aus Holtkamp 3, Kirchspiel Isselhorst, und sechs Jahre jünger als sie selbst.
Mit Henrich Jacob bekam sie dann noch neun weitere Kinder, darunter Johann Heinrich, der mein direkter Vorfahre werden sollte. Vorher kamen aber Zwillingsmädchen zur Welt: Margarethe Elsabein und Marie Elisabeth. Und wie der Zufall es so wollte, erblickten die beiden genau an Heiligabend 1785 das Licht der Welt.
Marie Elisabeth wurde allerdings nur 4 Jahre alt; sie starb am 8. April 1790 an den Pocken. Und weil Pocken hochgradig ansteckend sind, starb ihr kleiner Bruder Johann Hermann, gerade mal ein Jahr alt, nur zwei Tage nach ihr. Wie schlimm muss es sein, innerhalb von nur drei Tagen zwei Kinder zu verlieren und gleichzeitig noch Angst haben zu müssen, dass die anderen sich auch noch anstecken? Oder man selbst?
Ihr letztes Kind bekam Anna Christina im Dezember 1800, mit immerhin auch schon 43 Jahren.
Die darauf folgende Zeit war geprägt von den Enkeln, die sich nach und nach einstellten und teilweise auch schon als Kinder wieder verstarben. Ganz nebenbei wurde Halle noch französisch, weil Napoleon sein Kaiserreich ausdehnte. Ab 1813 gehörte man aber wieder zu Preußen.
Im Oktober 1814 ging dann auch wieder die Ruhr in Halle um, und es passierte genau das, was Anna Christina knapp 31 Jahre zuvor schon einmal erlebt hatte: Ihr Mann steckte sich an und starb. 
Eine dritte Ehe ging Anna Christina dann auch nicht mehr ein. Sie starb am 28.06.1828 mit 71 Jahren genau da, wo sie auch schon geboren worden war: In Künsebeck Nr. 2.
Der Hof wurde nach ihrem Tod tatsächlich in der männlichen Linie weitergegeben: Ihn führte nun ihr Sohn Johann Friedrich.
Und hier das ganze noch einmal in tabellarischer Form:
DatumEreignisOrtQuelleBemerkungen
24.03.1757
0
GeburtKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
10/1757
Eltern: Johann Hermann Künsemöller gen. Schulte, Anne Marie Schulte
15.08.1759
2
Geburt Bruder Philipp Wilhelm SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
30/1759
28.06.1761
4
Tod des Vaters Johann Hermann Künsemöller gen. SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
22/1761
15.11.1761
4
Geburt Bruder Johann Hermann SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
30/1761
02.12.1761
4
Tod Bruder Johann Hermann SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
34/1761
16.03.1762
4
Hochzeit der Mutter Anne Marie Schulte mit Cord Henrich Wellerdiek (gen. Schulte)Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
2/1762
10.09.1769
12
Geburt Bruder Johann Henrich SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
38/1769
24.11.1773
16
Geburt Bruder Johann Friedrich SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
34/1773
14.11.1777
20
Hochzeit mit Johann Hermann LandwehrHalle (Westf.)
KB Halle Westf.
34/1777
31.10.1778
21
Geburt Sohn Johann Henrich Wilhelm SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
55/1778
18.04.1781
24
Geburt Sohn Johann Friedrich SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
28/1781
Anerbe
07.07.1783
26
Geburt Tochter Anne Marie Elisabeth SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
30/1783
31.12.1783
26
Tod Ehemann Johann Hermann Landwehr gen. SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
41/1783
Ruhr
28.09.1784
27
Hochzeit mit Henrich Jacob VorbeckerHalle (Westf.)
KB Halle Westf.
16/1784
24.12.1785
28
Geburt der Zwillingstöchter Margarethe Elsabein und Marie Elisabeth SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
52 u. 53/1785
06.02.1788
30
Geburt Sohn Henrich Christoph SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
12/1788
22.04.1788
31
Tod Sohn Henrich Christoph SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
14/1788
14.03.1789
31
Geburt Sohn Johann Hermann SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
27/1789
08.04.1790
33
Tod der Tochter Marie Elisabeth SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
19/1790
Pocken
10.04.1790
33
Tod Sohn Johann Hermann SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
19/1790
Pocken
10.07.1791
34
Geburt Tochter Christine Wilhelmine SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
8/1791
17.05.1793
36
Geburt Tochter Anne Marie Elisabeth SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
19/1793
04.01.1796
38
Tod der Mutter Anne Marie Schulte Künsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
2/1796
08.07.1796
39
Geburt Tochter Catharine Marie Schulte Künsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
32/1796
18.02.1797
39
Hochzeit Bruder Johann Henrich Schulte mit Marie Cathrine WaldeyerHalle, Westfalen
KB Halle Westf.
4/1797
wohnen in Kölkebeck
07.06.1798
41
Geburt Sohn Johann Henrich SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
29/1798
10.12.1800
43
Geburt Tochter Marie Agnese SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
57/1800
28.10.1813
56
Hochzeit Sohn Johann Henrich Wilhelm Schulte mit Marie Cathrine In den BirkenHalle, Westfalen
KB Halle Westf.
21/1813
10.10.1814
57
Tod Ehemann Henrich Jacob Vorbecker gen. SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
112/1814
Ruhr
24.02.1816
58
Hochzeit Sohn Johann Friedrich Schulte mit Anne Marie Elsabein WiebrachtHalle, Westfalen
KB Halle Westf.
3/1816
18.09.1818
59
Geburt Enkelin Johanne Christine Wilhelmine SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
121/1818
Anne Christine wird Patin
02.07.1820
63
Tod der Enkelin Johanne Christine Wilhelmine SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
73/1820
Krämpfe
01.01.1821
63
Geburt Enkel Heinrich Wilhelm SchulteKünsebeck 2, Halle, Westf.
KB Halle Westf.
8/1821
16.02.1826
68
Tod der Schwiegertochter Marie Cathrine Schulte geb. In den Birken Künsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
17/1826
Wassersucht
25.06.1826
69
Geburt Enkelin Johanne Caroline SchulteKünsebeck 2, Halle, WestfalenKB Halle Westf. 107/1826
24.05.1827
70
Hochzeit Sohn Johann Friedrich Wilhelm Schulte mit Margarethe Elisabeth GodtHalle, Westfalen
KB Halle, Westf.
18/1827
02.07.1827
70
Tod Tochter Christine Wilhelmine SchulteKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
94/1827
Gicht
28.06.1828
71
TodKünsebeck 2, Halle, Westfalen
KB Halle Westf.
61/1828
Schwindsucht
01.07.1828
71
BeerdigungHalle, Westfalendto.

Donnerstag, 13. November 2014

Kranichbeine

Kennen Sie diese Serie im Westfalen-Blatt, in der die Bedeutung westfälischer Familiennamen von Dr. Winfried Breidenbach erklärt wird? Dieses Mal gab es einen typischen Wertheraner Namen: Kronsbein. Wenn man ins Wertheraner Telefonbuch guckt, dann gibt es auch heute noch einige davon. Kein Wunder also, dass mein eigener Stammbaum auch nur so von Kronsbeins und Cronsbeins wimmelt. Ich habe sie ja auch in der direkten Linie, wenn sie ja technisch gesehen eigentlich Hagmeisters waren...
P1060601Die Erklärung des Herrn Dr. Breidenbach hat mich dann doch überrascht: Als "Übersetzung" nimmt er "Kranichbein" an. Und weil Kraniche lange Beine haben...
Nun ja. Da passen bei mir dann auch die Hagmeisters ins Bild: Die langen Beine sind an mir definitiv vorbeigegangen. 

Montag, 10. November 2014

Mauerfall und Kirchenbücher

Ich habe gestern auch vor dem Fernseher gesessen und mir die Übertragung aus Berlin zum 25. Jahrestag des Mauerfalls angesehen. Schade, dass auf diesen Überschwang der Gefühle damals gleich wieder so viel Pessimismus und Nörgelei folgten. Wenn ich mir da etwas wünschen könnte, dann dass wir uns ein bisschen von dieser Aufbruchstimmung hätten bewahren können.
Peinlich ist nur, dass ich den Mauerfall damals glatt verschlafen habe. Aber was soll ich sagen? Ich war gerade 16 geworden und hatte am nächsten Tag Schule. Wo es natürlich auch nur ein Thema gab... :-)
Was mir in diesem Moment damals gar nicht so bewusst war: Ich musste ja auch noch Verwandte "im Osten" haben. Logisch - mein Uropa kam ja auch aus Burg bei Magdeburg. Und waren nicht mal so alte Leute von "drüben" bei Oma und Opa zu Besuch...?
Inzwischen weiß ich über diesen Teil der Verwandtschaft ein bisschen mehr. Und in der nächsten Woche hoffe ich, noch ein wenig mehr darüber herauszufinden, denn dann geht es wieder einmal Richtung Osten - Forschen im Magdeburger Archiv, wenn auch nur für zwei Tage. An die Kirchenbücher wäre ich ohne den Mauerfall wahrscheinlich nicht herangekommen und würde immer noch im Dunklen tappen, was immerhin ein Achtel meines Stammbaums ausmacht. Aber so kann ich nach Herzenslust stöbern.
Drückt mir mal die Daumen, dass ich es schaffe, herauszufinden, wer denn nun die erste Frau von Ur-Ur-Opa Carl Haufe war, von der er sich hat scheiden lassen. Und ob es aus der Ehe auch noch Kinder gab?
Ich bin schon sooooo neugierig!

Montag, 3. November 2014

Der Rorschach-Test nach Pastor Eggerling

Es gibt Menschen, die einem auch noch posthum das Leben schwer machen - wenn auch unbeabsichtigt. Pastor Eggerling aus Werther ist so einer.
An seine Schrift habe ich mich langsam aber sicher gewöhnt. Wo andere (meine bessere Hälfte zum Beispiel) nur merkwürdige Farbkleckse erblicken ("Ach, so wurde also der Rorschach-Test erfunden!"), bin ich inzwischen in den allermeisten Fällen in der Lage, zu entziffern, was er denn in seinen Eintragungen gemeint haben könnte. Zumindest dann, wenn er Worte geschrieben hat.
Kompliziert wird es nur bei den Zahlen. Die schrieb der gute Mann nämlich so klein und krakelig, dass man wirklich manchmal daran verzweifeln kann. Nach dem Motto: "Ist das eine 2? Nee, könnte auch eine 3 sein. Oder vielleicht doch eher eine 5? Mit ein bisschen gutem Willen könnte die 5 auch eine 8 sein, und die 1 eine 7..." 
Da lobt man in Gedanken tatsächlich den Schwung der Schrift eines Pastors Bösch und die mathematische Präzision eines Herrn Pastor Berghauer.
Bei den Geburtsdaten ist diese Fast-Unleserlichkeit nicht ganz so schlimm - oft genug war der Tag ja zusätzlich auch noch in Worten angegeben. Die kann man wieder gut entziffern, wenn man etwas in Übung ist. Blöd ist es aber, wenn es an die Hausnummern geht. Da weiß man zwar, dass die Nummer bei Colon Hapke in Theenhausen eine 3 sein muss, aber wenn es an die Heuerlinge geht, die ja auch schon mal Wohn- und Arbeitsstätte wechselten, dann wird es doch noch richtig anstrengend. 
Wenn ich mit den Eggerling-Einträgen (samt Kontrolle) endgültig durch bin, dann werde ich drei Kreuze machen. Und bei einem Blick in den Spiegel die zusätzlichen Falten zählen, die ich mir durch das ständige Augen-Zusammenkneifen geholt habe...  ;-)

Sonntag, 2. November 2014

Die "blödsinnige" Anne Marie Ilsabein Wiechmann

Heute gibt es mal einen kleinen Abstecher in die Seitenlinie:
Anne Marie Ilsabein Wiechmann wird am 5. Januar 1840 in Rotenhagen 12 im Kirchspiel Werther geboren; ihre Eltern sind der Colon Hermann Heinrich Wiechmann, der übrigens auch noch nebenbei Presbyter in Werther ist, und seine Frau Anna Catharine Ilsabein geb. Meyer zu Theenhausen.
Ich weiß nicht, ob Anne schon seit ihrer Geburt "blödsinnig" gewesen ist, wie man es damals so wenig nett nannte, oder ob später eine Krankheit zu einem Entwicklungsrückstand geführt hat. Die Bezeichnng "blödsinnig" taucht jedenfalls 1872 auf, als Anne am 13. April mit immerhin auch schon 32 Jahren einen Sohn namens August Heinrich zur Welt bringt. Zu diesem Zeitpunkt lebt sie auf dem elterlichen Hof, den inzwischen (der Vater war 1856 gestorben) ihr Bruder Johann Heinrich übernommen hat. Der wird auch der alleinige Pate seines Neffen.
Wer August Heinrichs Vater ist?
Gute Frage. Man weiß es nicht. Oder besser: Der Vater ist im Taufeintrag nicht eingetragen. Deshalb können wir auch nur spekulieren, unter welchen Umständen August Heinrich denn gezeugt wurde. (Und ganz ehrlich: Mir gefällt keins der Szenarien, die sich da in meinem Kopfkino abspielen.) 
Aus August Heinrichs Taufeintrag geht aber hervor, dass er nicht bei seiner Mutter aufwächst, denn er stirbt mit nur einem Jahr am 17. April 1873 in Jöllenbeck. Man hat ihn dort wohl in eine Pflegefamilie gegeben. Wenn ich das nächste Mal in den Jöllenbecker Kirchenbüchern unterwegs bin, dann muss ich den Sterbeeintrag noch überprüfen; bis dahin ist das nur eine Vermutung.
Selbst wenn August Heinrich aber bei Anne hätte bleiben können und er über das Säuglingsalter hinaus am Leben geblieben wäre: Er hätte nicht viel von ihr gehabt, denn Anne stirbt schon am 10. Mai 1875. Sie ertrinkt. Mit gerade einmal 35 Jahren. Die genauen Umstände kenne ich (noch?) nicht.
Anne war zwar nicht meine direkte Vorfahrin, sondern die Cousine meiner Ur-Ur-Urgroßmutter Katharine Marie Gehring geb. Wichmann. Ich glaube aber trotzdem, dass ihre Geschichte es wert ist, erzählt zu werden.